Die Inflationszeit 1923
Wenn auch in den Aufzeichnungen des F.W.V. wenig über die politische und gesellschaftliche Lage in Deutschland zu lesen ist, wirkte sich diese natürlich auf die Situation des Vereins aus und findet sich in vielen Entscheidungen der Verwaltung wieder. Schon 1921 stellte man nach dem verheerenden Unglück von Oppau, als das Stickstoffwerk der BASF explodierte und über 500 Tote und 2000 Verletzte forderte, spontan 100 Flaschen Rotwein für die Verwundeten zur Verfügung. Immer wieder bat man den Verein um Weinspenden für Kriegsgefangene und für karitative Organisationen. Eine Beteiligung am Glockenfonds 1923 zur Ersatzbeschaffung für die im Krieg eingeschmolzenen Kirchenglocken wurde lange diskutiert; ob man angesichts der schwierigen Lage etwas beisteuerte, ist nicht bekannt.
Die größte Herausforderung dieser Zeit war aber die Inflation. Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg wurden dem Deutschen Reich harte Bedingungen auferlegt, vor allem Reparationszahlungen, die in Goldmark zu begleichen waren. Zusätzlich führte die Besetzung des Rheinlandes durch französische Truppen und der sich anschließende passive Widerstand das Reich an den Rand des finanziellen Ruins. Weil die Geldumlaufmenge ständig erhöht wurde, verlor die Reichsmark stark an Wert und es entwickelte sich eine galoppierende Inflation. Kostete 1 Dollar 1914 noch 4,20 Reichsmark, so waren es Ende November 1923 4,2 Billionen Reichsmark. Danach führte man die Rentenmark auf Goldbasis ein, der Dollarkurs betrug wieder 4,2 Mark.
Die Verwaltung des W.V. musste sich auf diese Situation einstellen. Fast in jeder Sitzung wurden die Löhne und Gehälter erhöht, die Ausschankpreise neu festgesetzt und die Auszahlungssummen erhöht. Wurden auf den 1918er Most im Schnitt 150 Mark pro Logel (entspricht 40 Liter) ausbezahlt, so waren es auf den 1920er zwischen 200 und 300 Mark, auf den 1921er 400 – 600 Mark und auf den 1922er 3.000 – 4.500 Mark. Auf den 1921er wurden im Mai 1923 ca.50.000 – 75.000 Mark, im September zwischen 4 und 12 Mio Mark ausbezahlt und Anfang 1924 nach der Inflation 20 – 30 neue Rentenmark. Der Kassenstand betrug Ende November 1923 ca. 1,6 Billionen, was nach der Geldentwertung gerade 1,60 Rentenmark entsprach.
Die Weinpreise stiegen damals ebenso ins Unermessliche, sodass nur noch wenige Weinversteigerungen stattfanden. Mehrfach ist zu lesen: „Infolge der unsicheren Lage wird beschlossen keinen Wein mehr zu verkaufen.“ Dies war ein Resultat aus den sich täglich ändernden Weinpreisen. Sogar der Weinverkauf in der Ausschankstelle wurde reduziert und an andere Gaststätten nicht mehr geliefert. Allerdings musste „wegen der großen Geldknappheit“ immer wieder eine Partie Wein verkauft werden. Ob eine beantragte staatliche Unterstützung gewährt wurde, ist nicht bekannt. In der Endphase der Inflation gelang es, statt Geld Mehl als Bezahlung für Wein zu bekommen, wovon jeweils 1 Pfund je abgelieferter Logel Most an die Mitglieder verteilt wurde. Ende 1923 organisierte man sogar einen Waggon Saatkartoffeln gegen „Wein aus der unteren Klasse“.
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Ausschankpreise für ein Viertel Wein |
Küferlöhne pro Stunde |
Aber auch gegen interne Querelen hatte man in dieser Zeit anzukämpfen. So kam es 1923 in einer Generalversammlung zum Eklat, als einige Mitglieder der Verwaltung vorwarfen, in einem Fass im Keller fehlten 2 Logel Wein! Diese Unterstellung und Beleidigung der Verwaltung wurde in mehreren Sitzungen aufgearbeitet, wobei sich herausstellte, dass das Gerücht ausgerechnet von einem Aufsichtsrat in die Welt gesetzt worden war. Man bestand darauf, dass die drei beteiligten Herren sich schriftlich zu entschuldigen hätten, andernfalls wurde der Ausschluss aus dem Verein angedroht. Nach wochenlangem Hin und Her wurden diese Entschuldigungen beigebracht.
Weinversteigerungspreise pro Fuder (1000 L)
Juni 1921 15.000 M
Okt. 1921 40.000 M
Nov. 1921 55.000 M
Feb. 1922 Rotwein 20.000 M
Mai. 1922 200.000 M
Nov. 1922 320.000 M
Dez. 1922 ab 2.000.000 M
Mai 1923 ab 15.000.000 M
1923 keine weiteren Versteigerungen
Jan. 1924 ab 900 Goldmark
Aber schon in der nächsten Generalversammlung wurde der Vorsitzende Adam Wolfert von einem Nichtmitglied „ungebührlich“ angegriffen und niemand sprang ihm zur Seite. Um den daraufhin erklärten Rücktritt des Vorsitzenden zu verhindern, beschloss die Verwaltung, „dass dieser B. niemals Mitglied im W.V. werden kann, und also B. wird nie und nimmer in den Verein aufgenommen. Auf Vorschlag des Herrn Tremmel werden morgen Mittag ½ zwölf Uhr der Gesamtvorstand zu Herrn Wolfert begeben um bei demselben um Entschuldigung zu bitten, da bei der Generalversammlung niemand für ihn eingetreten ist und wollen ihn sicher wieder als 1. Vorstand erhoffen, da er bei diesen Verdiensten um den Verein niemals ersetzt, rsp. als 1. Vorstand vermisst werden kann.“
Während es bei diesen Vorgängen mehr um die Ehre ging, hing von dem Streit um die gemieteten Keller die Existenz des Vereins ab. Zwar lief die Anmietung des Schulkellers gegen 20 Flaschen Wein jährlich problemlos. Aber die Hauptkapazität des Fassraums war bei Herrn Spindler gemietet, und seit längerem war das Verhältnis gespannt; das Protokoll berichtet, dass „unser Mietsherr immer mit anderen Schikanereien droht“. Der Versuch über Herrn Mehling einen Keller bei Buhl anzumieten führte nicht zum Erfolg, ebenso scheiterte der Ankauf des „Krätzerschen Hauses“. Wegen der geringen Herbstaussichten 1923 wollte der W.V. einen Teil der Fässer nicht weiter mieten, was aber die Kündigung des Kellers nach sich gezogen hätte. Vor allem forderte Herr Spindler eine hohe Jahresmiete von 678 Goldmark und im Verlauf des sich über ein Jahr hinziehenden Rechtsstreits nochmals 6.000 Goldmark Nachzahlung mit der Drohung, dass der Keller sofort zu räumen sei. Auf Vermittlung eines Rechtskonsulenten wurde kurz vor dem Herbst 1924 der Mietvertrag verlängert und der Preis auf 1.000 Goldmark festgesetzt